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Du kommst hier nicht rein: Facebook braucht Eltern verstorbener Kinder keinen Zugriff gewähren

Gericht verweigert Eltern den Zugriff auf das Facebook-Profil ihrer verstorbenen Tochter und beruft sich auf das Fernmeldegeheimnis.

Eltern haben keinen Zugriff auf den Facebook-Account ihrer verstorbenen Tochter. Dies entschied das Kammergericht Berlin jüngst. Die Eltern hatten gegen Facebook geklagt, da das Unternehmen ihnen den Zugriff auf die Chatverläufe der Tochter verweigerte. Unser Anwalt für Erbrecht, William Bauer, hat sich zu diesem Sachverhalt Gedanken gemacht und gibt eine Einschätzung der Entscheidung.

Kein Zugriff trotz Zugangsdaten

Die Tochter wurde 2012 bei Einfahrt eines Zuges tödlich verletzt. Der Zugführer klagte gegen die Eltern auf Schadensersatz und die Eltern wollten nun den Chatverlauf ihrer verstorbenen Tochter einsehen, um zu prüfen, ob es sich bei ihrem Tod um Suizid handelte. Zwar besitzen die Eltern die Zugangsdaten des Facebook-Accounts, doch wurde dieser von Facebook auf einen sogenannten „Gedenkzustand“ gesetzt. Damit ist der Account – mit dem Hinweis „in Gedenken an...“ – zwar noch vorhanden, aber es ist nicht möglich Daten, wie zum Beispiel Chatverläufe, einzusehen oder zu löschen. Die Bitte der Eltern an Facebook, Einsicht zu bekommen, lehnte der US-Konzerns ab und berief sich dabei auf den Datenschutz. Woraufhin die Eltern gegen das Unternehmen klagten.

Kammergericht entscheidet zugunsten von Facebook

Zunächst gab das Berliner Landgericht 2015 den Eltern Recht. Das Kammergericht wiederum entschied nun in Berufung zugunsten von Facebook. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit dem Fernmeldegeheimnis, das schwerer wiegen würde als das Erbrecht.

Das Fernmeldegeheimnis gilt als Grundrecht im Verhältnis Bürger zum Staat, Art. 10 Grundgesetz. In § 88 TKG wird dem Dienstanbieter die Verpflichtung auferlegt, das Telekommunikationsgeheimnis zu wahren. Dies betrifft Dienstanbieter zu Kunde.

Das Kammergericht ist somit der Meinung, dass der Dienstanabieter Facebook das Telekommunikationsgeheimnis gegenüber seinen Kunden wahren muss. Dabei ist ausschlaggebend gewesen, dass die Eltern mit dem Zugriff auch Daten der Chat-Partner der Tochter einsehen könnten und die Rechte Dritter gewahrt werden müssen.

Beurteilung der Entscheidung aus erbrechtlicher Sicht

Aus unserer Sicht ist das Urteil falsch. Erbrechtlich werden die Erben - hier die Eltern - Kunde des Dienstanbieters. Als Erben des digitalen Nachlasses ihrer Tochter steht ihnen die Verfügung über den Facebook-Account der Tochter zu.
Mit der Weitergabe der Passwörter hat die Tochter ihren Eltern Zugang zu ihrem Account gewährt. Damit haben die Eltern von der Tochter selbst die Erlaubnis erhalten auf Chatverläufe und Daten zuzugreifen. Ein Verbot des Zugriffs zugunsten des Schutzes Dritter erscheint nicht angemessen. Vielmehr müssen Dritte damit rechnen und schließlich damit leben, dass ihr Kommunikationspartner die Nachrichten weitergibt oder anderen Zugang gewährt.

Facebook kann natürlich in den eigenen AGB regeln, dass der Account mit dem Tode erlischt und alle Daten mit dem nachgewiesenen Tod des Nutzers gelöscht werden. Aber die Entscheidungsgewalt darüber, ob und in welcher Form die Erben Zugang erhalten, sollte nicht bei Facebook liegen. Denn die Verfügungsgewalt über die Daten – soweit sie nicht durch die AGB von Facebook auf Facebook übergegangen sind – liegt bei dem Kunden und - sollte dieser versterben – im Wege der Universalsukzession seinen Erben. Solange die Daten existieren, muss der Inhaber – nach dem Tod die Erben - Zugriff auf diese haben.

Chatnachrichten können nicht mit dem gesprochenen Wort vergleichen werden.

Das Kammergericht stützt seine Entscheidung auf § 88 TKG und bemüht eine Grundgesetzargumentation. Das Grundgesetz gilt jedoch nicht zwischen Bürgern, sondern soll den Bürger vor Zugriffen des Staates schützen. Über 88 TKG verpflichtet der Staat den Dienstanbieter – hier Facebook – das Fernmeldegeheimnis zu wahren. Dies kann jedoch aus diesseitiger Sicht nicht dazu führen, dass der Dienstanbieter das Fernmeldegeheimnis anderer Nutzer einwenden kann, wenn die Erben Zugriff auf Daten des Erblassers nehmen wollen. Wie bei einem Brief an einen Verstorbenen muss der Verfasser des Briefs damit rechnen, dass sein Brief von den Erben gefunden und gelesen wird. Dies ist jedem bewusst, der einen Brief versendet und seinen Gedanken verschriftlicht. Facebook-Nutzer „verewigen“ sich auf Facebook – ob per Chatnachricht oder öffentlichen Post.  Diese Nachrichten können daher nicht mit dem gesprochenen Wort verglichen werden. Der Datenschutz in einem Chat kann daher nicht anders gehandhabt werden als bei einem gewöhnlichen Brief. Ansonsten wäre die Post gehalten, zu prüfen, ob der Empfänger eines Briefes noch lebt und die Zustellung aus Datenschutzgründen verweigern.

In der Sache zeigt sich die Problematik der Datenspeicherung in Netzwerken wie Facebook. Die preisgegebenen Informationen gehen faktisch auf Facebook über. An der Nutzung dieser Daten besteht ein hohes wirtschaftliches Interesse. Die Löschung der Daten bei Ableben des Nutzers stellt somit für den Dienstanbieter Facebook einen wirtschaftlichen Schaden dar. Facebook führt daher einen Rechtstreit über die Nutzung der Daten des Verstorbenen über den Tod hinaus und versucht damit seine zukünftige Geschäftsgrundlage der Datennutzung zu sichern. Diese Interessenskonstellation wird im Falle einer Revision zum Bundesgerichtshof bei der Abwägung zwischen Universalsukzession des Erben und Datenschutzbelange Dritter zu berücksichtigen sein – soweit die Eltern der Verstorbenen gegen die Kammergerichtsentscheidung in Revision gehen werden.