Selbst in den harmonischsten Familien kann eine Erbschaft zu Differenzen führen. Insbesondere dann, wenn das Testament die Enterbung einzelner Familienmitglieder vorsieht. Doch auch wenn der Enterbung möglicherweise gerechtfertigte persönliche Beweggründe zugrunde liegen, ist eine völlige Enterbung im Normalfall nicht möglich.
Die Testierfreiheit ist grundrechtlich als Teil der Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 GG geschützt. Jeder Mensch kann demnach seine Erben sowie die gesamte Nachfolgegestaltung frei bestimmen. Das Pflichtteilsrecht schränkt diesen Grundsatz allerdings unter bestimmten Voraussetzungen ein. Das Pflichtteilsrecht soll sicherstellen, dass nahe Angehörige nicht vollkommen aus der natürlichen Erbfolge ausgeschlossen werden können, sondern zumindest eine Mindestbeteiligung am Familienvermögen erhalten.
So können Familienangehörige nur unter besonderen Voraussetzungen gänzlich vom Pflichtteilsrecht ausgeschlossen oder der Pflichtteil beschränkt werden. „Neben Maßnahmen mit Zwangscharakter wie der Pflichtteilsentziehung durch den Erblasser oder der Pflichtteilsunwürdigkeit kann ein berechtigtes Interesse des Erblassers darin bestehen, den Pflichtteilsberechtigten vor sich selbst bzw. den Pflichtteilsanspruch vor dem Zugriff Dritter zu schützen“, so Rechtsanwalt Bauer der Kanzlei KBM Legal aus Düsseldorf. „Aufgrund der engen rechtlichen Voraussetzungen wird die Thematik Pflichtteilsbeschränkung jedoch oftmals von Erblassern gemieden, obwohl die wirtschaftlichen Auswirkungen beträchtlich sein können.“
Der Pflichtteil ist als ein gesetzlicher Zahlungsanspruch ausgestaltet. Dies bedeutet, er ist auf Geld gerichtet und berechtigt nicht dazu, einzelne Erbstücke aus dem Nachlass zu verlangen. Der Pflichtteilsanspruch entsteht, wenn ein pflichtteilsberechtigter Angehöriger durch ein Testament des Erblassers von der Erbfolge ausgeschlossen wird. Eine weitere wesentliche Voraussetzung für einen Pflichtteilsanspruch ist der Tod des Erblassers. Dieser Umstand mag selbstverständlich klingen, jedoch zeigt die anwaltliche Beratungspraxis, dass diese Voraussetzung noch nicht allgemein bekannt ist. „Der Pflichtteilsanspruch entsteht erst mit dem Ableben des Erblassers und es gibt keinen gesetzlichen Anspruch auf die vorzeitige Auszahlung des Pflichtteils“, erläutert Anwalt William Bauer.
Ein weiterer Irrtum ist die Annahme, dass jeder Angehörige, der theoretisch gesetzlicher Erbe werden könnte, pflichtteilsberechtigt ist. So haben etwa Geschwister des Erblassers keinen Pflichtteilsanspruch. Gemäß § 2303 BGB sind lediglich die Abkömmlinge des Erblassers, die Eltern sowie der Ehegatte pflichtteilsberechtigt. Auch der Partner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft hat Anspruch auf einen Pflichtteil.
Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Da ein Pflichtteilsberechtigter jedoch oftmals nicht über die Vermögensverhältnisse des Erblassers informiert ist, stellt sich in der Regel die Frage nach dem Umfang und dem Wert des Nachlasses. Der Gesetzgeber hat den Pflichtteilsberechtigten daher mit einem umfassenden Auskunftsanspruch ausgestattet, um notfalls gerichtlich die Einzelheiten über den Nachlass des Erben in Erfahrung bringen zu können.
Die gesetzliche Absicherung des Pflichtteilsberechtigten geht jedoch noch weiter. Schmälert der Erblasser zu Lebzeiten bewusst durch Schenkungen an Dritte sein Vermögen, um den Pflichtteilsanspruch zu verringern, kann dies im Erbfall zu einem sogenannten Pflichtteilergänzungsanspruch des Pflichtteilberechtigten führen. „Der maßgebliche Zeitraum sind grundsätzlich die letzten zehn Jahre vor Ableben des Erblassers. Im Sonderfall von Schenkungen an den Ehegatten können eventuell sogar Schenkungen relevant sein, die Jahrzehnte zurückliegen“, so Rechtsanwalt Bauer abschließend.