Please select a page template in page properties.

Rechtsmissbrauch im Wettbewerbsrecht

Das OLG Hamburg bestätigt: Das Vorenthalten einer vorgerichtlichen Stellungnahme stellt im einstweiligen Rechtsschutz ein rechtsmissbräuchliches Verhalten dar

Das Hanseatische OLG hat in einem durch unsere Kanzlei geführten wettbewerbsrechtlichen Verfahren mit Beschluss vom 07.11.2022 (Az.: 15 W 42/22) entschieden, dass ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorliegt, wenn im Rahmen eines bereits anhängigen Eilverfahrens dem Gericht die nach Antragstellung eingegangene Stellungnahme der Antragsgegnerin auf die vorausgegangene Abmahnung vorenthalten wird.

Sachverhalt:

Die Parteien vermitteln Energielieferverträge an Endkunden. Die Antragstellerin stellte am 26.04.2022 fest, dass die Antragsgegnerin ihrer Auffassung nach auf YouTube wettbewerbswidrige Aussagen tätigte.

Aufgrund dessen mahnte die Antragstellerin die Antragsgegnerin noch am selben Tag ab und forderte sie mit Fristsetzung zum 03.05.2022 auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben sowie die daraus hervorgehenden Abmahnkosten zu bezahlen. Die Antragsgegnerin bat am 03.05.2022 um eine kurze Verlängerung der Frist, nämlich bis zum 06.05.2022. Diese Bitte lehnte die Antragstellerin mit Hinweis auf die Eilbedürftigkeit am 05.05.2022 ab und stellte am selben Tag – einen Tag vor Ablauf der erbetenen Fristverlängerung – beim Landgericht Hamburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.

Am 06.05.2022 erfolgte - wie von der Antragsgegnerin angekündigt - die Stellungnahme zu den Vorwürfen. Diese Stellungnahme legte die Antragstellerin dem LG Hamburg nicht mehr vor, so dass das LG Hamburg in der Folge am 12.05.2022 ohne jegliche Anhörung der Antragsgegnerin dem Antrag der Antragstellerin folgend entschied. Nachdem durch die Antragsgegnerin Widerspruch erhoben wurde, einigten sich die Parteien in der mündlichen Verhandlung auf einen Vergleich hinsichtlich der Unterlassungsansprüche. Die Kostenentscheidung sollte nach § 91a ZPO erfolgen.

Das LG Hamburg beschloss, dass die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen sind, weil sie durch das Vorenthalten der antragsgegnerischen Stellungnahme vom 06.05.2022 verhindert habe, dass die Antragsgegnerin rechtlich gehört werde. Es sah hierin jedoch keinen Rechtsmissbrauch im Sinne des § 8c UWG, sondern verneinte das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin. Im Ergebnis wäre die Antragstellerin in dem Verfahren unterlegen, so dass sie die Kosten des Verfahrens zu tragen hatte.

Gegen die Kostenentscheidung des LG Hamburg legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein mit der Begründung, dass zum Zeitpunkt des Antrages auf Erlass der einstweiligen Verfügung die Stellungnahme der Antragsgegnerin noch nicht vorlag und die Antragstellerin dementsprechend vollständig vorgetragen habe. Da dieser Beschwerde durch das Landgericht nicht abgeholfen wurde, hatte sich das Hanseatische Oberlandesgericht mit diesem Verfahren zu befassen.

Entscheidung:

Das Hanseatische OLG wies die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurück. Es schloss sich dem LG Hamburg an und ergänzte, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bereits wegen Rechtsmissbräuchlichkeit unzulässig war und die Kostenentscheidung daher im Ergebnis korrekt ist. Die Antragstellerin verletzte mit ihrem Verhalten das Recht auf prozessuale Waffengleichheit, indem sie die Stellungnahme der Antragsgegnerin nicht an das LG Hamburg weiterleitete.

Das Recht auf prozessuale Waffengleichheit stellt eine Ausprägung des Rechtsstaatlichkeit sowie der allgemeinen Gleichwertigkeit der Parteien im Prozess dar. Voraussetzung hierfür ist, dass den Parteien vor dem Richter eine gleichwertige Ausübung ihrer Rechte möglich ist. Dies schlägt sich auch in dem Gehörsgrundsatz in Art. 103 Abs. 1 GG nieder. Demzufolge ist hinsichtlich der prozessualen Waffengleichheit vor allem zu beachten, dass in einem gerichtlichen Verfahren vor einer Entscheidung der Gegenseite grundsätzlich die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. Dadurch wird das gegnerische Recht auf rechtliches Gehör gewahrt. Allerdings ist es im einstweiligen Verfahren zur Wahrung des Rechts auf rechtliches Gehör ausreichend, wenn die Gegenseite vorprozessual die Möglichkeit hatte, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Um sicherzustellen, dass das Recht auf rechtliches Gehör im Eilverfahren nicht untergraben wird, ist dann aber zwingend notwendig, dass dem Gericht die vorprozessualen Äußerungen vollständig vorgelegt werden. Diesbezüglich ist es bei Eilverfahren auch möglich, auf die Erwiderungen im vorangegangen Abmahnverfahren abzustellen. Vorliegend hat die Antragstellerin die die Abmahnung betreffende Stellungnahme der Antragsgegnerin dem LG Hamburg nicht nach Antragseinreichung vorgelegt, so dass das LG Hamburg die Entscheidung allein auf Grundlage des Antragstellervortrages traf und die Erwiderung der Antragsgegnerin unberücksichtigt blieb.

Nach der Ansicht des OLG kommt es auch nicht darauf an, dass die Antragsgegnerin im Rahmen des erhobenen Widerspruchs nachträglich ausreichend Gelegenheit hatte, rechtlich gehört zu werden. Denn maßgeblich ist allein, dass die Antragstellerin durch das Vorenthalten der gegnerischen Stellungnahme ihrer prozessualen Wahrheitspflicht nicht genügt hat. Allein die Fristüberschreitung der Antragsgegnerin kann nicht ausreichen, um von einer Nachreichung abzusehen. Erschwerend kommt hinzu, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung das angegriffene Video nicht mehr online war und demzufolge eine Verweigerung der erbetenen Fristverlängerung im Hinblick auf eine etwaige Eilbedürftigkeit nicht geboten war.

Fazit:

Mit dieser Entscheidung liegt das Hanseatische OLG auf einer Linie mit der Rechtsprechung des OLG München (vgl. Urt. v. 05.08.2021, 29 U 6406/20) und setzt die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 03.12.2020 (1 BvR 2575/20) und 30.09.2018 (1 BvR 1783/17) um.

Im Rahmen eines Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz ist daher zwingend zu beachten, dass dem Gericht die vollständige vorprozessuale Korrespondenz vorgelegt wird; und zwar auch dann, wenn ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bereits eingereicht wurde. Dies beinhaltet auch das Nachreichen gegnerischer Schriftsätze, welche zwar nach Ablauf der mit der Abmahnung gesetzten Frist, aber noch vor einer gerichtlichen Entscheidung eingehen. Andernfalls ist von einem wahrheitswidrigen Vortrag auszugehen, der wegen der Untergrabung des rechtlichen Gehörs der Gegenseite ein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellt.

Bei Fragen zu diesem Thema oder zu anderen wettbewerbsrechtlichen Fragestellungen stehen Ihnen die Anwälte von KBM Legal, insbesondere Rechtsanwalt Götz Sommer und Rechtsanwalt Marc Nörig, jederzeit gerne zur Verfügung.