Please select a page template in page properties.

Mehr Gehalt für „Praktikantin“

Der Vertrag eines „Praktikanten“ über einen Zeitraum von fünf Jahren zu einem Bruttomonatsverdienst in Höhe von 300,00 € ist sittenwidrig. In Konsequenz hieraus steht dem „Praktikanten“ ein Anspruch auf rückwirkende Vergütung gegen den Arbeitgeber zu.

Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 13.06.2016 – 3 Sa 23/16
Vorinstanz: Arbeitsgericht München, Urteil vom 11.12.2015 – 36 Ca 4986/15

Ausgangslage

Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München lag der Sachverhalt zu Grunde, dass die Klägerin über einen Zeitraum von fünf Jahren im Rahmen eines Praktikantenvertrages zu einem Bruttomonatsverdienst in Höhe von 300,00 € für den Arbeitgeber tätig wurde. Hintergrund war, dass sie nach Abschluss der mittleren Reife vergeblich nach einer Ausbildungsstätte gesucht hatte und die fünfjährige Berufspraxis die Teilnahmeberechtigung an der Prüfung zur Fachbearbeiterin für Finanzdienstleistungen ermöglichen sollte. Laut dem Praktikumsvertrag sollte sie insgesamt 43 Wochenstunden leisten, Überstunden sollten nicht vergütet werden. Die Klägerin kündigte den Vertrag jedoch nach drei Jahren und forderte insgesamt 77.316,00 € rückständigen Lohn von ihrem ehemaligen Arbeitgeber entsprechend der üblichen Vergütung in einer vergleichbaren Branche. Das Praktikumsverhältnis sei nach ihrer Ansicht tatsächlich ein getarntes Arbeitsverhältnis. Der Arbeitgeber hingegen war der Auffassung, dass die gemeinsame Vereinbarung der Tätigkeit als Praktikantin bindend sei. Die Arbeit der Klägerin soll zudem derart unterdurchschnittlich gewesen sein, dass ihm hieraus ein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei, welchen diese zu ersetzen habe.

Entscheidungsgründe

Das Arbeitsgericht München hat der Klage stattgegeben, allerdings statt der üblichen Vergütung einer vergleichbaren Branche den Mindestlohn in Höhe von 8,50 € zur Berechnung des Stundenlohnes angesetzt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Arbeitgebers hatte keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht München bestätigte das Urteil der Vorinstanz. Die im Praktikumsvertrag vereinbarte Vergütungsabrede, sei wegen Lohnwuchers nach § 138 Abs. 2 BGB nichtig. Denn rechnerisch ergebe sich ein Stundenlohn in Höhe von 1,61 €. Zudem seien Praktikanten typischerweise nur vorübergehend in einem Betrieb tätig, um sich praktische Kenntnisse und Erfahrungen für einen Beruf anzueignen. Da hierbei der Ausbildungszweck im Vordergrund stehe, gebe es für Praktikanten keine Vergütung im klassischen Sinne, sondern vielmehr eine Aufwandsentschädigung. Kennzeichnend für einen Arbeitnehmer sei demgegenüber, dass er im Dienst eines Anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. So auch die Klägerin. Die beabsichtigte mehrjährige Dauer des Praktikums sei ein Indiz für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Die von dem Arbeitgeber geltend gemachten Schadensersatzforderungen gegen die Klägerin würden ebenfalls für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sprechen, da hierin Tätigkeiten der Klägerin moniert werden, welche üblicherweise nicht von Praktikanten ausgeführt werden. Da hier ein Arbeitsvertrag vorliegt, sei die Vergütungsabrede als Lohnwucher im Sinne des § 138 Abs. II BGB. Lohnwucher ist ein Rechtsgeschäft unter anderem dann, wenn jemand durch Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögens oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einen Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligem Missverhältnis zur Leistung stehen. Dies sei vorliegend der Fall gewesen, da sich die Klägerin angesichts der erfolglosen Bemühungen um eine Ausbildungsstätte in einer Notlage befand. Außerdem sei die Klägerin nicht in der Lage gewesen, den Unterschied zwischen Praktikum und Berufspraxis zu erkennen.  Die im Urteil festgesetzte Vergütung in Höhe von 8,50 € pro Stunde sei auch für die Tätigkeitsdauer vor der Einführung des Mindestlohnes in Anbetracht der durch die Klägerin wahrgenommenen Tätigkeiten angemessen und sachgerecht.

Kommentar

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts verdeutlicht, dass die Arbeitgeberpflichten, hier insbesondere die einer angemessenen Vergütung, nicht einfach durch eine anderweitige Bezeichnung des Vertragsstückes umgangen werden können. Dies selbst dann nicht, wenn sich beide Parteien ausdrücklich auf einen bestimmten Vertragsinhalt geeinigt haben. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der unter Umständen besser beratene und in Arbeitsrechtsachen erfahrene Arbeitgeber die Unwissenheit des Vertragspartners zu seinen Zwecken widerrechtlich ausnutzt. Betroffenen Arbeitnehmern ist daher zu raten, einen zweifelhaften Vertrag anwaltlich prüfen zu lassen und gegebenenfalls weitere rechtliche Schritte einzuleiten. Arbeitgebern ist anzuraten, den Vertrag vor der Unterzeichnung dahingehend zu prüfen, ob dieser nicht in Wahrheit ein anderes Vertragsverhältnis begründet.